Über das Werk
Das Werk Stehender Mädchenakt vor Rot stammt aus dem letzten Schaffensjahr des im April 1955 nach einem Schlaganfall im Alter von 77 Jahren verstorbenen deutschen Malers Karl Hofer. Zeit seines Lebens hatte sich Hofer ganz im Gegensatz zur damals stark protegierten gegenstandslosen Kunst dem figurativen Stil verschrieben. Dieses Festhalten – gerade auch an dem menschlichen Abbild – in seiner Malerei vertrat Hofer während der sogenannten Darmstädter Gespräche 1950 ebenso wie in seinem öffentlich und polemisch geführten Streitgespräch mit dem Kunstkritiker Will Grohmann im Jahre 1955. Hofer plante zu dieser Zeit gleichsam als programmatisches Manifest in Anlehnung an Wassily Kandinskys Über das Geistige in der Kunst die Herausgabe der Schrift Über das Gesetzliche in der Bildenden Kunst. Erst posthum wurde ein Teil der Schrift von Kurt Martin herausgegeben. Die offensiven Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern der unterschiedlichen Kunstströmungen nahmen durch Hofers Tod ein jähes Ende.
So wie seine Werke stets einer klassischen Ausgewogenheit und einem strengen und klaren Bildaufbau folgen, so überzeugt auch der Akt aus dem Jahr 1954 durch seine lyrisch-melancholische Anmutung. Vor violettem Hintergrund mit einer roten, durch wenig grüne Farbelemente intensivierten Aureole gelingt Hofer eine nahezu klerikal erscheinende Bildfindung. Dem Akt wird jegliche voyeuristische Komponente genommen, das Reine, Schöne steht im Vordergrund dieser Komposition. War Hofers Schaffen zunächst stark von dem Klassizismus eines Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach und auch Hans von Marées bestimmt, so konzentrierten sich seine Werke im Laufe der Zeit – stark beeinflusst durch zahlreiche Begegnungen unter anderem mit dem Werk von Paul Cézanne – immer mehr auf das Wesentliche. Nach den Erfahrungen des nationalsozialistischen Terrors, die Hofer nicht nur bereits 1933 die Entlassung als Professor an der Hochschule der Künste in Berlin brachten, sondern auch die Zerstörung seines Ateliers mit seinem frühen und mittleren Werk bei einem Luftangriff am 1. März 1943, wandte sich seine Malerei im Spätwerk einem geradezu prachtvollen Primitivismus von linearer Strenge und intensiver Wirkkraft zu. Das vorliegende Bild Stehender Mädchenakt vor Rot ist ein beredtes Beispiel dieser späten und besonders konzentrierten Phase seines künstlerischen Schaffens.
Text verfasst und bereitgestellt von Dr. Andrea Fink, Kunsthistorikerin
Die Kunsthistorikerin, Kuratorin und freie Publizistin Andrea Fink hat in Bochum und Wien Kunstgeschichte, Kultur- und Geisteswissenschaften, Neuere Geschichte und Philosophie studiert. 2007 folgte die Promotion zum Werk des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay. Als freie Kuratorin und Kunstberaterin zählen zu ihren Auftraggebern u.a. Kunstverein Ahlen, Kunstverein Soest, Wella Museum, Museum am Ostwall Dortmund, ThyssenKrupp AG, Kulturstiftung Ruhr, Osthaus Museum Hagen, Franz Haniel GmbH, Kunsthalle Krems, Österreich.