Über das Werk
Der junge Bernard Schultze – ein stiller, blasser Mann – entschloss sich 1933 gegen den Willen seines strengen Vaters zur Aufnahme eines Kunststudiums an der Hochschule für Kunsterziehung in Berlin. In der dortigen Bibliothek entdeckte er einen Band über den belgischen Maler James Ensor, „den zu klauen”, wie es später heißt, „mein Lehrer Willy Jaeckel mir dringend riet”.
Die Karnevalsszenen des Symbolisten, seine dämonischen Figuren, Masken und Skelette, die vielfigurigen, burlesken Szenen beeindruckten den angehenden Maler zutiefst. Ebenso wie die mittelalterlichen Gemälde Matthias Grünewalds oder Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht mit ihrem wimmelnden Getümmel unter der rotglühend aufgehenden Sonne, während der Mond erblasst und hinter Wolken verschwindet. „Mich faszinierte, wie bei Grünewald, Altdorfer, Kubin, Bosch und später bei Ensor, die Doppelbödigkeit des Sichtbaren, deren visionäre Ausweitung in eine andere Wirklichkeit. Ich sah die Phantastik der Motive, diesen Riß in der Vernunft. Sie öffneten andere Räume. Wirklichkeit erschien mir immer schon mehr zu sein, als das, was wir sehen.”
Fast gewinnt man den Eindruck, als wolle der alternde Künstler in dieser nächtlichen Landschaft mit dem riesenhaft sich aufbäumenden, surrealen Farbwesen und dem hellen Gestirn vor dunklem Firmament noch einmal an die Vorgänger anknüpfen: an Ensors geheimnisvolle, oft bedrohlich wirkenden clownesken Figuren ebenso wie Altdorfers berühmtes Schlachtenbild unter schwarz-blauem Himmel.
Text verfasst und bereitgestellt von Dr. Doris Hansmann, Kunsthistorikerin
Studium der Kunstgeschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Anglistik und Romanistik an der Universität zu Köln, 1994 Promotion. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstmuseum Düsseldorf. Lektorin und Projektmanagerin im Wienand Verlag, Köln. Freiberufliche Tätigkeit als Autorin sowie Lektorin und Buchproduzentin für Verlage und Museen im In- und Ausland. Ab 2011 Cheflektorin im Wienand Verlag, von 2019 bis 2021 Senior Editor bei DCV, Dr. Cantz’sche Verlagsgesellschaft, Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.